Mein Aussehen vs. meine Identität

– Dein Konstrukt gegen meine Wirklichkeit –

Ich habe oft darüber nachgedacht, wie ich aussehen muss, damit man mir meine namibischen und deutschen Wurzeln ansieht. Natürlich wird erwartet, dass ich dunkle Haut habe – aber nicht zu dunkel. Dass ich gelockte Haare habe, aber keinen Afro. Eine typische „Mixed-raced“ eben. So muss ich aussehen, wenn ich will, dass Menschen aufhören, mich mit verwirrten Blicken anzuschauen, zu fragen, wieso ich als Namibianerin denn so weiß sei und dann wissen möchten, wie meine Mutter aussieht, um mein Erscheinungsbild zu verifizieren. 

Diese Zweifel an meiner Identität haben dazu geführt, dass ich mich jahrelang gefragt habe, wo denn innerhalb Deutschlands meine Community ist, in die ich hineinpasse, mit all meinen Erfahrungen und meinen Kulturen, aber vor allem mit meiner visuellen Identität, ohne diese  jedes Mal aufs Neue erklären zu müssen. 

Aufgewachsen in einer kleinen Stadt im Süden Deutschlands, waren meine Kultur, Traditionen und Werte dennoch alles andere als typisch deutsch und bis heute ist das deutscheste an mir meine Sozialisierung und mein Aussehen. Obwohl ich durch meine namibischen und deutschen Wurzeln „mixed“ bin, sehen viele Menschen mich nur als weiß. Dabei wird das Schwarzsein meiner Identität nicht gelesen, sondern von vielen Menschen gar abgesprochen.  Die Erfahrungen, immer wieder aufs Neue seine Identität darzulegen und gleichzeitig auch beweisen zu müssen, war bis jetzt immer mit emotionalen Hürden verbunden, da ich mich mit meiner deutschen Seite kaum identifiziere.

Meine namibische Herkunft liegt von klein auf für  mich im Zentrum meiner Identität. Die Art und Weise wie ich aufgewachsen bin, meine Mutter  und meine Familie, meine Verbindung zu meiner Kultur, die Sprache, das Land, die  Geschichten und Erlebnisse meiner Vorfahren und deren Schmerz vererbt in mir, all das und  mehr macht mich aus. All das wird mir aber abgesprochen, sobald man mich als weiß liest. Durch die Frage, „woher ich denn eigentlich käme, weil ich so exotisch aussähe“, ergibt sich die Annahme, dass ich nicht in die Schubladen des menschlichen Denkens hineinpasse und mein Erscheinungsbild erklärt werden muss. 

Als weiß gelesen zu werden, beziehungsweise „white-passing“ zu sein, ist dieser komische Zustand, sich seiner eigenen Identität und seiner Herkunft sicher zu sein, sich aber, sobald man auf andere Menschen trifft, zu wünschen, man hätte einen LED-Bildschirm auf der Stirn, der automatisch der Welt verkündet, wer man sei – und dass dieser gleichzeitig die Gedanken aussendet, die in einem vorgehen, aber die man für sich selbst behält. „White-passing“ zu sein, ist für mich die Erfahrung, auf Menschen zu treffen und für diese ein Rätsel zu sein. Für die einen bin ich weiß, für die anderen Türkin, oder dann doch Griechin, „nein, ganz sicher bist du Brasilianerin“. Oder sie geben es ganz auf, ihr „ethnicity guessing“, und nennen mich „die Exotische“, deren Herkunft man nicht einordnen kann, und stattdessen rassifiziert und  sexualisiert man sie mit dem Lieblingswort vieler weißer Menschen: „exotisch“. Während ich für viele weiße Menschen als „nicht-weiß“ gelte, bin ich für viele BIPoC weiß, vielleicht  Latina, aber nie Schwarz. Ich bin nicht aus Namibia. Afrikanerin, ich? Blicke und Gelächter  folgen. Die unterschiedlichen Erfahrungen mixed zu sein, aber nicht so gelesen zu werden, hat mich vor allem gelehrt, wie unterschiedliche Menschen, aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen und ihrem Verständnis von Herkunft und Ethnizität auf mich reagieren. Während ich zu meiner  Zeit in den USA 2011 und 2012 als mixed und daher auch als Schwarz akzeptiert worden bin, hat sich diese Akzeptanz in Deutschland nicht immer als selbstverständlich ergeben. Für mich  haben die Erfahrungen, die mit „white-passing“ einhergehen gezeigt, wie stur und starr wir doch noch mit Labels um die eigene Herkunft sind. 

„White-passing“ zu sein, bedeutet aber auch Privilegien zu haben. Ich kann mich durch die Welt bewegen ohne ständig Rassismus ausgesetzt zu sein, die rassistischen Erfahrungen, die ich mache, sind gering. Die Privilegien, die ich aufgrund meines Aussehens erfahre, bringen  jedoch auch Verantwortung mit sich. Ich bin verantwortlich dafür, mich nicht auf meinen  Privilegien auszuruhen und diese für mich auszunutzen, sondern meine Privilegien verpflichten mich dazu, die Bühne zu räumen und andere sprechen zu lassen. Meine Privilegien verpflichten mich, meine Stimme da zu erheben, wo andere wegschauen. Ich kann mich nicht „biracial“ nennen und dann nur darüber reden, wie sehr ich meinen beiden Kulturen verbunden bin, sondern muss auch mich in meiner Identität kritisch hinterfragen. Wir leben in einer Welt, die „Rasse“, obwohl es diese nicht gibt, immer noch in den Mittelpunkt des alltäglichen Lebens stellt. Wir leben in einer Welt, in der das „weiß-Sein“ (leider) eine erstrebenswerte Norm ist. Entsprechend dieser Norm ergeben sich Privilegien, ob wir wollen oder nicht. 

Während ich reflektiere, wie sehr ich selbst Komplizin dieses Unterdrückungssystems bin und gleichzeitig rassistische Erfahrungen aushalte und mich immer wieder zwischen verschiedenen  Emotionen hin und her bewege, wird mir immer bewusster, dass wir neben Rassismus auch Colorism bekämpfen müssen. Ich bemerke aufgrund meines Aussehens und den Erfahrungen, die ich mache, die Realität von Colorism und wie sehr es BIPoC-Communities beherrscht. Ich versuche unangenehme Erfahrungen besser zu verstehen, die ich mit BIPoC gemacht habe,  weil ich merke, dass diese auch nur dem System ausgesetzt sind und dieses verinnerlicht haben. Vor allem aber merke und lerne ich daraus, wie wichtig es doch ist, dass wir unser Verständnis von Herkunft ändern und innerhalb unserer eigenen Communities das statische Bild, von „wie wir auszusehen haben“, verbessern. 

Jede white-passing Person trägt ihre eigene Geschichte in sich, ich will aber, dass meine Geschichte aufzeigt, wie sehr ich beides bin und nicht an einem Tag das eine und am anderen Tag das andere. Ich bin das Produkt zweier unterschiedlicher Kulturen. Wie sich das in meinem  Aussehen widerspiegelt, spielt keine Rolle und gibt keinen Aufschluss über die Intensität meiner Schwarzen oder weißen Identifikation. 

Sheila-Ann Riek