Interview mit teacherofcolor__

 

Unter teacherofcolor__ teilt eine Lehrerin aus Berlin anonym ihre Gedanken, Ideen und Umsetzungsmöglichkeiten für eine diskriminierungskritische Schule. Im Kurzinterview beantwortet sie uns, wie es zu ihrer Instagramseite kam, was für sie diskriminierungskritische Schule bedeutet und was sie sich von angehenden Lehrer:innen wünscht.

Das vergangene Jahr war besonders für viele BIPoC ein sehr turbulentes Jahr, aber auch ein Jahr der Veränderung. Bei einem Post auf Instagram schreibst du: „2020 war das letzte Jahr, in dem wir Schweigen akzeptierten“ - Wie ist dieses Statement entstanden? 

2020 war für viele BIPoC ein drastischer Einschnitt. Unter anderem hat der rassistische Anschlag in Hanau uns gezeigt, dass wir uns nicht sicher fühlen können und dass wir genau deshalb noch lauter sein müssen. Besonders erinnere ich mich an den Moment, als Serpil Temiz Unvar nach dem Anschlag vor die Presse trat und sagte, dass ihr Sohn nicht umsonst gestorben sein soll, dass sich mit Blick auf die Zukunft anderer Jugendlicher etwas verändern muss. In dem Moment ist etwas in mir geplatzt... Ich glaube, dass viele von uns auch Konsequenzen für ihr Privatleben gezogen haben, dass sich Freundschaften und Beziehungen verändert oder aufgelöst haben. Auch wenn ich auf Instagram mehr über meinen beruflichen Alltag berichte, gilt für mich ebenso: Das Private ist politisch, und wir sollten auf keiner Ebene mehr schweigen.

Wie nimmst du deinen Alltag als PoC-Lehrerin war?

Mir geben vor allem meine Schüler:innen viel Energie und ich glaube, dass wir uns gegenseitig stärken, um durch den Schulalltag zu kommen. Als Vertrauenslehrerin führe ich häufig Gespräche und ich hoffe, dass meine Schüler:innen wissen, dass ich sie immer supporte, wenn es mir möglich ist. Insgesamt habe ich aber das Gefühl, dass mir sichere Räume fehlen und ich auch wenig Solidarität von meinen Kolleg:innen erfahre, wenn es darum geht, sich gegen verfestigte Strukturen und Diskriminierung/Rassismus auf unterschiedlichen Ebenen zu wehren. Oft fühle ich mich in diesem Kampf ziemlich alleine. Dazu kommen dann auch noch der unkritische Umgang von Lehrkräften mit Unterrichtsmaterialien und die tägliche Reproduktion von Diskriminierungsformen, die leider an Schule Alltag sind. Mir scheint es, als würde Veränderung hier nicht wirklich angestrebt werden wollen. 

Du hast dich im Oktober 2020 dann dafür entschlossen, eine Instagramseite zu starten, dort über diskriminierungskritische Schule zu schreiben und deine eigenen Erfahrunge als PoC-Lehrerin zu teilen. Was waren die Gründe dafür und was hoffst du zu bewirken?

Ich habe lange Ungerechtigkeiten gegenüber BIPoC Schüler:innen beobachtet und mich oft hilflos gefühlt. Insbesondere die bestehenden Machtverhältnisse und die Diskriminierung auf institutioneller Ebene machen den Schulalltag für mich als Lehrer:in of Color teilweise sehr schwer. Ich weiß, wie sehr auch meine Schüler:innen unter diesem System leiden und wollte daher einen Raum öffnen, um  Missstände aufzuzeigen und mich im besten Fall mit anderen BIPoC Kolleg:innen zu vernetzen, denn nur gemeinsam können wir Veränderung schaffen.

Einer deiner letzten Posts beschäftigt sich mit Anonymität und Aktivismus. Was denkst du sind die Gründe dafür, dass es noch nicht so leicht möglich ist, Rassismus in der Schule und Bildungsinstitutionen gerade als Lehrkraft anzusprechen?

Ich werfe einen sehr kritischen Blick auf die Institution Schule und spreche sowohl individuellen als auch institutionellen Rassismus offen an. Leider ist die Institution Schule noch nicht so weit, sich wirklich kritisch mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Oft erlebt man als Lehrer:in, die rassistische Strukturen offen anspricht, reale Nachteile durch das System. Das ist sicherlich auch der Grund dafür, warum viele BIPoC Lehrer:innen sich mit ihrer Kritik zurückhalten.

Wie sieht für dich eine diskrimierungskritische Schule aus?

Ein Ort, an dem sich vor allem Lehrer:innen immer wieder mit ihren eigenen internalisierten Diskriminierungsmustern beschäftigen, sich aktiv weiterbilden, intersektional denken, handeln und unterrichten, jede:n Schüler:in als Individuum erkennen und schätzen. Ein Ort, an dem alle Schüler:innen ohne Angst sie selbst sein können. 

Wie gestaltest du deine Unterrichtsmaterialien diverser und inklusiver? Hast du eine
Seite, die du empfehlen kannst?

Ich benutze größtenteils keine gängigen Lehrwerke mehr, da diese häufig problematisches Material beinhalten, und erstelle meine Materialien selbst. Dazu greife ich auf Bücher zurück, die ich selbst gelesen habe. Auch verwende ich online verfügbare Videos, Interviews oder Artikel, die von BIPoC Autor:innen oder Journalist:innen geschrieben wurde. Eine gute erste Anlaufstelle ist das Magazin @literarischediverse, das zu vielen Themen, die BIPoC Schüler:innen ansprechen, Texte enthält. 

Was würdest du dir von angehenden Lehrer:innen wünschen?

 Ich würde mir wünschen, dass angehende Lehrer:innen kritischer mit dem System Schule sind und dass sie sich nicht immer an älteren Kolleg:innen orientieren, nur weil diese mehr Erfahrung haben. Das heißt noch lange nicht, dass sie alles richtig machen. Außerdem hoffe ich, dass vor allem die nächste Generation wertschätzend und empathisch mit Schüler:innen umgeht, ihnen wirklich zuhört und Schule zu einem etwas sichereren Ort macht.