Utopie oder Zukunftsvision? Ein diverser Arbeitsplatz

 

Mit dem Ende des Studiums beginnt der berühmte neue Lebensabschnitt,
in dem man sofort wissen soll, wie alles im Arbeitsleben läuft und wo man letztendlich hin möchte.

Alles beginnt mit einem Praktikum. In der Vorbereitung haben Bi_PoC neben den normalen Sorgen von „Reichen meine Kenntnisse überhaupt für ein Praktikum?“ über „Bin ich dem Druck gewachsen?“ auch noch andere Sorgen, die sich nicht so einfach mit einem perfekten Lebenslauf und gefaketem Selbstbewusstsein überspielen lassen. Sorgen, die gerechtfertigt und nicht so leicht zu beheben sind.

Der Einstieg ins Berufsleben ist für alle mühsam und nervenaufreibend, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. Unterbezahlte Praktika und Aufgaben, die nicht die erhoffte berufliche Erfüllung bringen - als praxisunerfahrene*r Student*in landet man mehr oder weniger auf dem harten Boden der Tatsachen. Als Bi_PoC beschäftigt man sich allerdings bei jeder Absage zusätzlich noch mit der Frage, ob diese nur wegen dem eigenen Aussehen oder Nachnamen kam. Schon bei der Bewerbung muss man sich überlegen, ob man den Lebenslauf mit Bild oder sicherheitshalber ohne Bild verschickt. In manchen Ländern sind Lebensläufe ohne Foto bereits Norm und in den USA wird man beispielsweise aus dem Bewerbungsprozess ausgeschlossen, wenn man trotzdem ein Bild schickt. Der Hintergedanke ist dabei, es den Arbeitgeber*innen nicht zu ermöglichen, schon basierend auf dem äußeren Erscheinungsbild eine Absage zu erteilen. Bei einer hart erkämpften Zusage hören die Sorgen als Bi_PoC allerdings nicht auf, sie schreiten auf eine neue Ebene vor. Eine Ebene gefüllt von möglichen rassistischen Kommentaren (und sexistischen, sollte man kein Mann sein). 

 

„Es tut mir so leid, weil ich weiß, dass es für dich noch so viel schlimmer wird.“

Im Gespräch mit einer Bekannten ist dieser Satz gefallen, woraufhin mein Bedürfnis nach mehr Informationen geweckt war. Rassistische und sexistische Kommentare beispielsweise wie „Wie stehen Sie denn zur Flüchtlingskrise?“ oder „Sie können hier ruhig mit den Männern reden, Sie sind hier ja in der Arbeit.“ gehören vor allem für weiblich gelesene Bi_PoC zum Arbeitsalltag. Implizierend, dass kulturelle Unterschiede Frauen davon abhalten, im Arbeitsumfeld mit ihren männlichen Kollegen zu kommunizieren.
Als Frau wird man oftmals in allen Lebensbereichen und vor allem in der Wirtschaft Opfer von Intersektionalität in Form von Sexismus und Rassismus.

Intersektionalität beschreibt eine vielseitige Form der Diskriminierung, die nicht nur aus beispielsweise Rassismus besteht, sondern wie in diesem Fall auch noch Sexismus beinhaltet. Dieser äußert sich dabei in kontinuierlicher Unterschätzung der fachlichen Kompetenzen, einer aufdringlichen Bevormundung und der Zuteilung von unterfordernden Aufgaben. Weiblich gelesene Bi_PoC FLINTA* sind zusätzlich oft einer Fetischisierung und Sexualisierung ihrer männlichen Kollegen ausgesetzt. Männer fühlen sich unter anderem aufgrund der vermeintlichen kulturellen Unterschiede schnell in eine Machtposition versetzt, die sexuelle Belästigung in Form von Annäherungen und Kommentaren zu legitimieren scheint.

Bei dem Versuch, diese anzusprechen und zu verarbeiten, wird man vor allem als Praktikant*in oder Berufseinsteiger*in mit dem Bedürfnis konfrontiert, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Aber auch als Festangestellte*r wird das Benennen von rassistischen Kommentaren als gefährdend für die berufliche Zukunft wahrgenommen, da viele Gehälter und Beförderungen mittlerweile an das Verhalten und die Leistung der Person geknüpft sind.
Je mehr man sich also dem sich ausgesetzten Rassismus fügt und das Verhalten anpasst und je erfolgreicher und schneller die Fortschritte im Arbeitsumfeld erreicht werden (z.B. Verkaufszahlen), desto höher sind die Chancen auf eine Beförderung und somit auch auf ein höheres Gehalt.

Dieses Dilemma erschwert es Bi_PoC, sich vollkommen mit den eigenen Erfahrungen auseinanderzusetzen, was zu einer psychischen Belastung führen kann. Eine Studie aus dem Jahr 2020 von EY und ,Gesicht zeigen‘ zu dem Thema „Rassismus im Kontext von Wirtschaft und Arbeit“ bestätigt diesen Konflikt. 81% der Befragten befürchten keinen beruflichen Nachteil beim Einsatz gegen Rassismus, wobei hier alle Beschäftigten betrachtet werden. Gleichzeitig wünschen sich fast 45% keinen offenen Austausch über Rassismus an ihrem Arbeitsplatz. Es kommt daher nicht selten vor, dass weiße Kollegen*innen einem*einer Bi_PoC- Kollegen*in von einer Meldung beim Betriebsrat oder einem Zuständigen abraten, um „Drama“ zu vermeiden. Dazu kommen Kommentare wie, “Man könne sich schon vorstellen, dass eine Frau mit diesem kulturellen Hintergrund empfindlicher auf unerwünschte Annäherungsversuche reagiert”. Dies wirkt einschüchternd und bewirkt, dass die eigene Reaktion und Emotionen von der betroffenen Person hinterfragt werden. Die Verharmlosung von rassistischen und sexistischen Vorfällen kann Hilflosigkeit und Frustration auslösen, die in keinem Fall FLINTA* helfen, mental rassistische und sexistische Erfahrungen zu verarbeiten. 

 

Der Schein eines diversen Arbeitsplatzes

Von diesen Vorfällen ist in der ein oder anderen Ausprägung jede Branche betroffen, allerdings besteht die „klassische“ Wirtschaft in Deutschland immer noch hauptsächlich aus weißen, privilegierten Menschen. Weniger Diversität und Kontakt mit Diskriminierten im Alltag führt hier zu einem unsensiblen Umgang mit Bi_PoC- Kollegen*innen. Jüngere Unternehmen haben den Vorteil, strukturellen Rassismus noch nicht komplett in ihrer Unternehmenskultur gefestigt zu haben. Außerdem bestehen sie oft aus jüngerem Personal, welches sich im besten Fall schon mit einer Rassismus- und Sexismus- Thematik auseinandergesetzt hat. Allerdings muss auch hier aktive Aufklärungsarbeit betrieben werden, um das Bewusstsein aufrechtzuerhalten und weiterzubilden.

Die Studie von ,Gesicht zeigen‘ und EY weist ebenfalls eine Nachfrage der Arbeitnehmer*innen nach rassismuskritischen Fortbildungen in Firmen nach. Ein weiteres Zeichen sind unternehmensinterne Kampagnen gegen Rassismus, dadurch wird Personen, die Rassismus ausüben, vermittelt, dass hierfür keine Toleranz besteht. Allerdings sind diese Angebote meistens freiwillig und haben mehr mit Imagearbeit zu tun, als dass sie einen realen und nachhaltigen Effekt hätten. Einen langfristigen Einfluss auf die Diversität eines Unternehmens können Quoten haben. Durch den anfänglichen Zwang, mehr auf eine ausgeglichene Einstellung von Männern und Frauen bzw. von weißen und Bi_PoC zu achten, verändert sich das Personalbild und ein diverser Arbeitsplatz wird normalisiert.

 

Die Zukunftsvision eines diversen Arbeitsplatzes

Felwine Sarr beschreibt in seinem Buch „Afrotopia“ ein Wirtschaftssystem, das in die Kultur eingebettet ist und nicht andersherum. Ein Arbeitsplatz, der sich an den kulturellen Werten und Vorstellungen einer Gesellschaft orientiert und von den unterschiedlichen Kulturen profitiert - quasi the best of both/ all worlds. Die Hilfsbereitschaft und Gemeinschaft, die in anderen Kulturen viel bedeutender ist als in der deutschen, könnten den Arbeitsplatz zu einem produktiveren und angenehmeren Umfeld machen. Ein Ort, an dem man nicht mehr hervorsticht oder anders behandelt wird aufgrund seines Aussehens oder seines Geschlechts. Man fühlt sich nicht einsam aufgrund der eigenen Identität, sondern passt perfekt in das diverse Bild des Teams. Allen werden dieselben Möglichkeiten geboten, sich zu entfalten. 

Ob Utopie oder Zukunftsvision wird sich zeigen und bis dahin ist Distanz und sachliche Vorbereitung auf mögliche rassistische und sexistische Kommentare angesagt. Mit dem Einstieg in die Arbeitswelt ändert sich nicht nur für die Person selbst der gesamte Alltag, sondern man setzt sich Situationen und Menschen aus, denen man zuvor im eigenen Umfeld womöglich noch nicht begegnet ist.

Mit meinem eigenen Einstieg in die Arbeitswelt und den damit verbundenen Ängsten und der Angespanntheit versuche ich mir jedoch weiterhin vor Augen zu halten, dass ich nicht alleine bin.

Autorin: Jennifer Aghedo, Titelfoto: privat

Der Begriff FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen. Weiblich gelesene Person meint Menschen, die von der Gesellschaft als weibliche Person wahrgenommen werden. 


Zielscheibe Kopftuch

 

Kein Kleidungsstück auf dieser Welt sorgt für solch hitzige Debatten, wie das Kopftuch. Es  handelt sich nicht nur um ein Stück Stoff - für Hijabis charakterisiert er die enorme  Gebundenheit und Liebe zur Religion, Schutz und Selbstbestimmtheit. Wäre es nicht  traumhaft, ein Kopftuch zu tragen ohne jegliche abwertende Blicke, rassistische Übergriffe  und Beleidigungen von intoleranten Menschen zu erhalten? Leider nicht möglich - denn die hiesige Gesellschaft ist im 21. Jahrhundert immer noch nicht so weit, muslimische  Frauen mit einem Kopftuch zu akzeptieren. Dass wir in einer rassistischen Gesellschaft  leben, wurde nun auch empirisch bewiesen: 22 Prozent der Befragten geben an, selbst  schon von Rassismus betroffen gewesen zu sein. Das geht aus der Auftaktstudie zum  neuen Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) des Deutschen  Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) hervor.  

 

Ein Kampf der Kulturen, der nicht nur im Alltag unter der Bevölkerung ausgetragen wird, sondern auch ständig hohe Wellen in den Medien schlägt.

So scheiterte bereits die Pro Kopftuch-Kampagne des Europarates (im November letzten Jahres) „Beauty is in diversity as freedom is in hijab“. Die Online-Kampagne war nur wenige Stunden im Internet zu sehen, da in Frankreich schon das Feuer loderte und die Kampagne zurückgezogen wurde. Das wars dann wohl mit dem Vorhaben der Förderung von Vielfalt und der Bekämpfung von Hass und Hetze. Tweets wie „Mein Kopftuch, meine Freiheit“ wurden mit sofortiger Wirkung gelöscht. Ja, denn die Macht der Medien ist nicht zu unterschätzen und natürlich könnten sich diese Aktionen positiv auf das gesellschaftliche Zusammenleben mit und für Hijabis auswirken. Wer sollte dann zur neuen Zielscheibe werden, wenn dieser Ansatz einen minimalen  Erfolg erlangen würde und muslimische Kopftuchträgerinnen schlagartig Akzeptanz  erhalten?  

Die mediale Online-Kampagne wurde leider gestoppt und konnte nicht ihr gewünschtes,  gesellschaftsförderndes Ziel erreichen. Dass die marginalisierte Gruppe der Kopftuchträgerinnen immer wieder zur Angriffsfläche erklärt wird, ist allen bekannt. Dieser Disput ist insbesondere auf ein grandioses Versagen der massenmedialen Berichterstattung zurückzuführen. Ein persönlicher Austausch und interkultureller Dialog mit Muslimas ist eine Seltenheit, da die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in einem hohen Maße mit Gewalt- und Konfliktthemen durch die Massenmedien in Verbindung  gebracht wird. Die Bedeutung der Massenmedien, hat für den gesellschaftlichen Diskurs über Muslimas eine elementare Bedeutung.

Die Darstellungen symbolischer, bildhafter oder textueller Art, die überwiegend einen negativen Beigeschmack hat, trägt dazu bei,  innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen einen Nährboden für islamische Feindbilder zu bieten. Die Bevölkerungsmehrheit meidet die bewusste Begegnung zu Muslimas und  meint aber zu wissen, dass die Rolle der Frau im Islam eine unterdrückte und sie ein typisches Opfer einer patriarchalischen, islamischen Gesellschaft sei - ein gewöhnlicher  Stereotyp, der sich bei den Menschen verankert hat. Wissenschaftliche Befunde aus der  Frauenmedienforschung beweisen (Schiffer, 1994; ZIF, 2002; Farrokhzad, 2006), dass  muslimische Frauen auf ihr Kopftuch reduziert werden. Der Schleier fungiert hierbei als  Symbol einer unterdrückten Frau, die wiederum durch ihre Religion gefesselt wird. Eine  undifferenzierte Darstellung muslimischer Frauen ist ebenso zu kennzeichnen, kaum  werden sie in Rollen einer emanzipierten und erfolgreichen Frau präsentiert. Eher erfolgt  eine stereotypische Zuordnung als Opfer, Fanatikerin, Fundamentalistin oder Migrantin.  

 

Müssen wir uns bei solch einer negativen Darstellung in den Massenmedien noch wundern, woher die vorurteilsbehafteten Vorstellungen der Mitbürger*innen kommen?

Gegenüber Kopftuchträgerinnen ist eine klare diskriminierende Haltung seitens der Medienmacher*innen zu erkennen. Die Ironie der ganzen Aufbereitung: Wenn über muslimische Frauen berichtet wird, dann werden sie hauptsächlich von Nicht-Muslim*innen bewertet - und das natürlich auf einem hohen abwertenden Niveau. Wie wäre es, Muslimas nicht bloß als passives Objekt zu präsentieren, um die überkommenen Stereotype zu  überwinden? Ein möglicher Ansatz der Überwindung wäre, Fremdgruppen in Deutschland, wie auch Muslimas, in die öffentlichen Mediensysteme mit einzubinden und somit ein ausgewogenes und facettenreiches Islambild zu konstruieren, das vorhandene  Stereotypen aushebelt.  

Autor*in: Maiyra Chaudhry  

Quelle: 

https://www.rassismusmonitor.de/fileadmin/user_upload/NaDiRa/ CATI_Studie_Rassistische_Realitäten/DeZIM-Rassismusmonitor-Studie_Rassistische Realitäten_Wie-setzt-sich-Deutschland-mit-Rassismus-auseinander.pdf


„Jeder Einzelfall ist einer zu viel“

„Jeder Einzelfall ist einer zu viel

Beruflich verteidigte er in Wirtschaftsstrafverfahren unter anderem Manager von DAX-Unternehmen. Danach wechselte er zu einem internationalen Konzern und ist dort seitdem als Compliance-Officer tätig. Seit seinem Instagram-Post widmet sich Blaise Francis nun neuen Fällen. Das Interessante dabei: der Rechtsanwalt konnte lange Zeit nichts mit sozialen Medien anfangen.

 

Neben deiner Haupttätigkeit engagierst du dich auch ehrenamtlich für die Betreuung, Vertretung und Beratung von Rassismusbetroffenen in Deutschland. Was hat dich dazu bewogen?

Diese Unterstützung ist eigentlich gar nichts Neues für mich. Früher habe ich Hilfe bei Rassismusfällen jedoch nur im erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis angeboten, also nicht öffentlichkeitswirksam darauf aufmerksam gemacht. Nach dem Mord an George Floyd ist der Umfang nun deutlich größer geworden. Auf einer Demonstration in Düsseldorf habe ich einen Stapel Visitenkarten mitgenommen und verteilt. Daraufhin kamen circa 50 Anfragen zu Rassimusfällen. Ungefähr eine Woche später habe ich mich dann erstmalig bei Instagram angemeldet. Ehrlich gesagt verband ich die soziale Plattform eher mit Urlaubsbildern und belanglosen Beiträgen. Dann erfuhr ich von Demonstrierenden aber, dass sie die Infos zur Veranstaltung über eine Instagram-Seite erhalten hatten.

Und nun nutzt du Instagram selbst als Plattform um deine ehrenamtliche Hilfe anzubieten. Was genau hat dich zu deiner pro Bono Arbeit inspiriert?

Eines Nachts habe ich zufällig ein YouTube Video gesehen, das mich sehr wütend machte. Es handelte sich um einen Fall aus Berlin. In einer Drogerie-Filiale wurde einer Schwarzen Frau EC-Karten Betrug unterstellt, da der deutsche Nachname für die Mitarbeiter:innen scheinbar nicht nachvollziehbar zum Aussehen der Frau passte. Mit dem Eintreffen der Polizei soll ein Polizist gesagt haben, dass die Schwarze Frau von einer Anzeige wegen Beleidigung absehen solle. Ansonsten würde eine Strafanzeige gegen sie erstattet werden. Der Vorfall hat mich besonders verärgert, da der Fall Ausdruck eines institutionellen Problems ist. Letztlich klingt es so, als sei hier der Versuch unternommen worden, der Schwarzen Frau das Recht auf Anzeigeerstattung und somit das Recht auf Zugang zu Justiz zu versagen.

Dies war der eigentliche Auslöser für meinen spontanen nächtlichen Instagram-Post, in welchem ich juristische Hilfe bei Rassismusfällen anbot. Innerhalb kürzester Zeit bekam ich daraufhin hunderte von Nachrichten, die meisten waren Zuspruch der Black Community. Die darauffolgende Woche gab es aber auch immer mehrrechtliche Anfragen. Mittlerweile sind es leider so viele Anfragen, dass ich aufgehört habe, diese zu zählen. Dabei handelt es sich vor allem um einfache rechtliche Anliegen, wie beispielsweise „Was tun bei Beleidigung?“ oder „Wo und Wie kann ich eine Anzeige erstatten?“. Zum Teil geht es leider aber auch um größere Fälle, wie Polizeigewalt und Angriffe durch Rechtsradikale, bei denen man vor Gericht geht und Stellungnahmen schreiben muss.

Das zeigt einerseits die große Relevanz deiner gemeinnützigen Tätigkeit, aber wie gehst du andererseits mit dieser Masse an Fallanfragen um?

In den ersten Wochen habe ich eine Nacht geschlafen und die andere nicht. Das nennt man „one nighter“ im Großkanzleien- und Bankerjargon. Irgendwann geriet ich von der Kapazität her aber an Grenzen, an denen ich mir selbst und auch dem Gegenüber nicht mehr gerecht werden konnte. Seitdem musste ich lernen, auch mal Nein zu sagen. Mittlerweile muss ich keine „one nighter“ mehr machen, sondern arbeite spätestens bis drei Uhrnachts. Ich habe begonnen die Fälle zu filtern und mich in erster Linie um die ganz besonders schlimmen zu kümmern.

Durch dein Engagement hilfst du anderen mit ihren erlebten Rassismusfällen. Wie gehst du selbst mit Rassismus am Arbeitsplatz um?

An meinem jetzigen Arbeitsplatz hatte ich wenige Berührungspunkte mit Rassismus. Es ist ein sehr modernes Unternehmen. Wir haben viele Mitarbeiter aus dem Ausland, daher wird mindestens zu 50 Prozent Englisch gesprochen. In meinen vorherigen Jobs in Kanzleien und in der Unternehmensberatung kam es hin und wieder leider manchmal zu unpassenden Sprüchen. Nie gegenüber meiner eigenen Person, aber in meinem Beisein gegenüber Mitmenschen mit Migrationshintergrund. Hier fand oft indirekter Rassismus statt, der natürlich trotzdem verletzend ist.

Foto: Jennifer Fu

So etwas spreche ich immer offen an. Man muss aber dazu sagen, dass es oft leichter gesagt als getan ist. Als Rechtsanwalt arbeitet man meistens in verhältnismäßig flachen Hierarchien. Dort ist es oft einfacher, Rassismus anzusprechen als in anderen beruflichen Konstellationen. Einige meiner Mandant:innen haben Angst ihren Job zu verlieren oder erfahren Mobbing oder andere Repressalien, wenn sie sich dagegen äußern. Es ist also eine Fall-zu-Fall-Entscheidung. Nicht für jeden ist es einfach dagegen vorzugehen.

Glaubst du, dass das Thema Rassismus in der Politik zu wenig ernst genommen wird?

Aktuell bewegt sich etwas, daran habe ich keine Zweifel. Jedoch ist gleichzeitig auch eine defensive Abwehrhaltung in der Politik zu beobachten. Ein Teil der Mehrheitsgesellschaft fühlt sich angegriffen, genauso wie die Polizei als Institution und das Innenministerium. Diese Abwehrhaltung muss aber überwunden werden, um offen über Dinge diskutieren und Sachen ändern zu können.

Du erwähnst gerade die Polizei. Wie sinnvoll wäre hier eine Racial-Profiling Studie?

Es war zunächst nichts anderes als eine Provokation seitens Herrn Seehofers, statt einer geforderten Racial-Profiling Studie eine Studie für Gewalt gegen Polizisten zu fordern, obwohl es zu letzterem bereits Zahlen gibt. Ich glaube, der Innenminister nimmt sich mit dieser Argumentation selbst gar nicht ernst, sondern will letztlich nur auf Stimmenfang aus dem rechten Spektrum gehen. Ich denke, er will mit solchen Aussagen Personen erreichen, die potenziell dazu neigen die AFD zu wählen.

Meines Erachtens brauchen wir eine Studie nicht zwingend. Nach Berichten über NSU 2.0, rassistische Chatgruppen und rechtsradikalen Netzwerken, denen Polizeibeamte angehören ist es bereits erwiesen, dass es genügend Fälle von Rassismus bei der Polizei gibt. Wir dürfen uns daher nicht von der Diskussion rund um eine Racial-Profiling-Studie ablenken lassen.

Denn jeder Fall von Rassismus in der Polizei ist sehr gefährlich und einer zu viel!

Aber denkst du, dass eine Studie den Weg zu diesen Maßnahmen nicht erleichtern würde?

Ich bin da sehr skeptisch. Man muss sich die Frage stellen, wie eine vom Innenministerium unter der Leitung von Herrn Seehofer durchgeführte Studie aussehen würde. Wie wäre der Ansatz? Würde man auf die Opfer oder nur auf die Polizei zugehen? Befragt man ausschließlich Polizisten ist damit zu rechnen, dass das Rassismus-Problembei der Polizei verneint oder zumindest verharmlost wird. Denn kein Polizist wird in einer Studie offen seine rassistische Gesinnung preisgeben. Wenn eine Studie durchgeführt werden soll, müssen beide Seiten befragt werden um ein objektives Ergebnis zu erreichen.

Ich möchte aber nochmal klarstellen, dass die abgesagte Studie trotzdem ein Skandal ist. Das zeigt, dass die Politik die Augen davor verschließt und gar nicht feststellen möchte, ob es ein Problem gibt. Aber brauchen wir eine Studie des Innenministeriums zwingend, um was zu verändern? Nein! Die Gesetzgebung kann bereits jetzt handeln und bessere Gesetze schaffen. Zudem hoffe ich auch darauf, dass die Zivilgesellschaft eigenständig Studien zum Thema Rassismus bei der Polizei umsetzt. Es gibt bereits jetzt einige Studien, zum Beispiel von der Uni Bochum oder von dem Verein Eoto. Weil die Bundesregierung im Hinblick auf die Studie enttäuscht hat, haben diese Institutionen beschlossen, selbst Umfragen durchzuführen. So etwas sollte noch mehr gefördert werden. Wenn der Staat nicht will, dann soll und muss die Wissenschaft selber tätig werden.

Also wären deiner Meinung nach private Vereine mit wissenschaftlicher Unterstützung bessere Quellen?

Ich fürchte leider, dass Weißes Privileg nicht durch Herrn Seehofer als weißer privilegierter Mensch abgeschafft wird. Die Zivilgesellschaft und Wissenschaft darf und kann sich leider nicht auf das Innenministerium verlassen. Wir müssen Studien zum Thema Rassismus selbst in die Hand nehmen, anstoßen und durchführen.

Akosua Abrefa-Busia